Zweithund, ja oder nein? 

Es spricht vieles dafür, einem Hund einen Partner zur Seite zu stellen oder sich für eine ­Mehrhundehaltung zu entscheiden. Im Grunde entspricht diese Haltungsform der Natur unserer ­Hunde als sozial begabte Lebewesen sogar am ehesten.

Zweisam oder mehrsam statt einsam? Der Umgang mit einem Artgenossen bietet andere Qualitäten als das Zusammensein mit uns Menschen. Ein harmonisches Miteinander unter Gleichartigen schenkt unsicheren Hunden Sicherheit, vorausgesetzt, es werden nicht Hunde mit ähnlichen Tendenzen vergesellschaftet. Für blinde, taube oder anders beeinträchtigte Hunde kann ein vierbeiniger Sozialpartner eine wichtige Stütze im täglichen Leben sein. Und auch Hunde ohne Probleme und Einschränkungen profitieren im Allgemeinen von der Gesellschaft eines Zweithundes. Doch Achtung! Es gibt Ausnahmen. Nicht jeder Hund möchte Heim und Familie mit einem vierbeinigen Kumpel teilen. Solche Hunde sind am zufriedensten, wenn sie ihre Menschen – zumindest in den eigenen vier Wänden – ganz für sich alleine haben.

Einige zwingende Fragen
Vor der Entscheidung, einen ­weiteren Hund zu adoptieren, tut es gut, einige Fragen mit sich abzuklären. Ist es das eigene Bedürfnis oder das des Hundes, nach einem vierbeinigen Partner Ausschau zu halten? Leidet mein Hund unter Krankheiten oder zeigt er Verhaltensauffälligkeiten? Bin ich bereit, noch mehr Zeit als bisher in die Hundebetreuung zu investieren? Habe ich an die zusätzlichen finanziellen Belastungen gedacht, die ein weiterer Hund unweigerlich mit sich bringt? Bin ich bereit, Einschränkungen zu akzeptieren, denn nicht überall stößt eine Hunde­meute auf ungeteilte Begeisterung.

Die Angst vorm Abschiednehmen
Nicht selten entsteht das ­Be­dürfnis nach einem Zweithund in der ­letzten Lebensphase seines ­geliebten Vierbeiners. Schmerzhaft wird uns bewusst, dass die ­gemeinsame Zeitspanne, die noch vor uns liegt, sehr absehbar geworden ist. Wir haben Angst vor dem Tag des Abschieds, der kommen wird. „Ich weiß nicht, wie ich es aushalten soll, wenn Mira stirbt. Hätte ich einen zweiten Hund, könnte ich sicher besser damit umgehen”, erklärte mir Frau W. den Wunsch nach einem Gefährten für ihre 13-jährige Schäferhündin. Ich muss ergänzen, dass die Hündin unter altersbedingten schmerzhaften Arthrosen litt und bereits sehr schlecht hörte. Mira mochte andere Hunde gern, denen sie auf Spaziergängen begegnete, sofern sie sich ihr rücksichtsvoll näherten und sich unaufdringlich ­verhielten. Trotzdem habe ich der Dame eindringlich von der Anschaffung eines zweiten Hundes abgeraten. Es war offensichtlich, dass Mira nur noch kurze Zeit zu leben hatte. Sie brauchte die ungeteilte Aufmerksamkeit und Zuwendung ihrer Besitzerin und hatte immer als Einzelhund gelebt. Ich konnte zwar den Wunsch der Dame nachvollziehen, doch Mira gegenüber wäre es unfair gewesen, ihr Leben so grundlegend zu verändern. Stattdessen hat Miras Frauchen damit begonnen, in einem nahe gelegenen Tierheim zweimal pro Woche Hunde spazieren zu führen. Wenn ihre geliebte Gefährtin eines Tag geht, wird sie nicht alleine zurückbleiben, sondern Trost und Ablenkung in der Betreuung ihrer Tierschutz-Hunde finden.

Der Zweithund als Therapeut
Oft ziehen Hundehalter die Adoption eines Zweithundes in Erwägung, weil sie sich eine Besserung bestehender Verhaltensprobleme des Ersthundes erhoffen. Dieser Aspekt kann durchwegs zutreffen, besonders, wenn es sich um ängstliche, unsichere oder behinderte Tiere handelt. Ein ängstlicher Vierbeiner kann von einem souveränen Artgenossen, der ihm alternative Verhaltensweisen vorlebt, lernen und seine Fähigkeiten verbessern. Ein Hund mit mangelnden sozialen Fähigkeiten im Umgang mit Artgenossen wird von einem Vierbeiner mit hoher Sozialkompetenz profitieren können. Doch ob ein Hund mit Trennungsangst in Gesellschaft eines Zweithundes mit der Situation Alleinbleiben besser zurechtkommen wird, lässt sich so einfach nicht beantworten. Ein Partnerhund kann das Problem durchaus entschärfen – doch auch das Gegenteil ist möglich, dass nun plötzlich zwei Hunde sich die Seele aus dem Leib heulen, wenn Frauchen oder Herrchen die Wohnung verlässt.

Falsch: Eine Hundegruppe braucht weniger Betreuung
Eine irrige und gefährliche Annahme ist jene, dass das Halten von mehreren Hunden weniger Betreuungsaufwand bedeutet, da die Tiere sich ja viel miteinander beschäftigen würden. Mehr als zwei Hunde sind als Gruppe zu bezeichnen und wie bei uns Menschen wirken innerhalb einer solchen gruppen­dynamische Prozesse. Diese Vorgänge zu beeinflussen, zu erkennen und zu steuern erfordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Nicht immer ist eine Einmischung durch den Menschen sinnvoll, doch ebenso wenig darf man die Gruppe nach dem Motto „Die werden es schon untereinander ausmachen” sich selbst überlassen. Diese Überlegungen sollen nicht von einer Mehrhundehaltung abraten, doch bewusst machen, dass diese Entscheidung viel Verantwortung und Wissen erfordert.

Alters- und Größenunterschiede beachten
Natürlich spricht nichts dagegen, auch ältere Hunde zu vergesellschaften, doch bitte nicht mit ungestümen, rüpelhaften Jungspunden, die weder auf das erhöhte Ruhebedürfnis noch auf die Wehwehchen des Älteren Rücksicht nehmen. Und auch ein Youngster hätte nichts davon, mit einem Vierbeiner sein Zuhause zu teilen, der ihm stets griesgrämig und abwehrend entgegentritt. Zu einem älteren Hund passt ein Partner mit einem annähernd gleichen Anspruch an Spaziergänge, Spieleinheiten und Ruhephasen. Hole ich zu einem 12-jährigen einen Welpen nach ­Hause, sind gemeinsame Spaziergänge bald nicht mehr möglich. Tempo und Ansprüche klaffen meilenweit aus­einander. Was dem einen zu viel, ist dem anderen zu wenig.

Auch die Größe spielt eine erhebliche Rolle. Ein junger aber körperlich unterlegener Hund bereitet einem älteren Hund mit kleinen Zipperlein natürlich weniger Probleme als umgekehrt. Trotzdem werden beide wahrscheinlich wenig voneinander profitieren.

Welpe als Jungbrunnen für ­Methusalems?
Oft hört man, dass ein alter Hund durch einen verspielten Welpen oder Junghund wieder mehr Aktivität und Lebensfreude entwickeln würde. Doch Vorsicht, mehr Aufregung bedeutet nicht automatisch mehr Lebens­qualität. Dass ein ­Hundesenior plötzlich verstärkte Aktivität und Präsenz zeigt und nicht mehr zur Ruhe kommt, weil der Neuankömmling ihm Futter, Spielzeug und Schlafplatz streitig macht und ihn obendrein noch mit rüpelhaften Spielaufforderungen nervt, ist kein Indiz für Wohlbefinden und wird den Althund eher schneller als langsamer altern lassen. Und selbst wenn der Althund sich bei Spaziergängen äußerst welpenfreundlich präsentiert, bedeutet das noch lange nicht, dass er daheim 24 Stunden lang Leihopa oder Leihoma spielen möchte.

Artgenosse zur Entlastung des Althundes
Ganz anders präsentiert sich die ­Situation, wenn bereits zwei Hunde unterschiedlichen Alters im Haushalt leben und der jüngere den Althund durch seine Aktivität zu sehr beansprucht. In diesem Fall kann ein ­aktiverer Dritthund die Situation zugunsten des Seniors entlasten, indem er dem jüngeren als Spiel­gefährte zur Seite steht.

Irrglaube Welpenschutz
Wollen Sie einen Welpen zu Ihrem Hund oder in die Hundegruppe integrieren, vertrauen Sie bitte nicht darauf, dass ein „normaler” Hund sich an einem Welpen nicht „vergreifen” würde. Der vielstrapazierte Welpenschutz gilt nur innerhalb eines Rudels, also eines Familienverbandes mit gewachsenen Sozialstrukturen. Deshalb sprechen wir genau genommen bei Mehrhundehaltung nur dann von einem Rudel, wenn es sich um miteinander verwandte Tiere handelt, was zumeist nicht der Fall ist. Kommt ein Welpe zu einem bereits vorhandenen Hund oder in eine bestehende Gruppe, wird er als fremdes Individuum betrachtet und ebenso behandelt. Auch wenn Sie selbst den kleinen Wicht als unwiderstehlich empfinden, heißt das nicht, dass Ihr Vierbeiner diese Ansicht teilt. In der Regel zeigen sich Rüden bei der Erziehung toleranter als Hündinnen, deren Zurechtweisungen ziemlich schroff ausfallen können.

Welpe zu Welpe?
Wer ein Hundebaby, einen Junghund oder einen pubertierenden Halbstarken zu Hause weiß, tut nicht gut, einen zweiten derselben Liga hinzu­zugesellen. Wer es einmal probiert und überlebt hat, verfügt entweder über Nerven wie Stahlseile oder gar keine mehr, denn eigenartiger­weise lernen junge Hunde bevorzugt das vom anderen, was wir als unerwünscht bezeichnen. Stänkern, die Wohnung zerstören, gemeinsam jagen, es gibt vieles, was unseren Hunden viel Spaß und uns schlaflose Nächte bereitet. Profitieren kann ein Jungspund von einem adulten ausgereiften Tier, das seine Flegeljahre bereits hinter sich gelassen hat und uns (im Idealfall) bei der Erziehung des Hunde-Teenagers unterstützen kann.

All diese Überlegungen sollen helfen, die richtige Entscheidung zu treffen, richtig für Sie UND für Ihren Hund oder Ihre Hundegruppe. ­Letztendlich kennen Sie Ihre Vierbeiner am ­besten und können beurteilen, ob und unter welchen ­Voraussetzungen eine ­weitere Adoption in Frage kommt. Falls Sie die Frage nach „noch einem” aus voller Überzeugung mit Ja beantworten, dann geben Sie einem Hund aus dem Tierschutz die Chance, Ihr Leben und das Ihres Hundes zu be­reichern.